Embryo 2015 live in Münster – Interview mit Christian Burchard
Mit diesem Blog möchte ich auch die Sinne dafür schärfen, dass unsere kulturelle Vielfalt ein Geschenk ist, das es zu wahren gilt. Jeden Tag sterben weltweit alternative und traditionelle Lebensweisen im intransparenten Dickicht unseres kapitalistischen Imperialismus. Unser westlicher Wert der Selbstbestimmung ist zur Unfreiheit vieler reicher Kulturen geworden und hat vielerorts einen irreversiblen Scherbenhaufen hinterlassen. Ich will nicht vom Krieg der Kulturen sprechen, sondern von einem weltweiten Bürgerkrieg, der viel subversiver und grausamer wirkt als es uns allen manchmal bewusst ist. Wer die Welt mit ihrem Reichtum liebt, muss denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden. Weltmusik ist ein Weg, vielleicht sogar der beste. Deswegen ist die Band Embryo eine Botschaft.

Der Ton macht die Musik. Das ist eine Redewendung, die auch zu beinahe allen Mitwirkenden von Embryo passt, wenn es um Respekt voreinander geht. Egal, ob du mit Roman Bunka, Marja Burchard, Mik Quantius, Michael Wehmeyer, Jens Pollheide, Chris Karrer und…und…und redest…sie alle zeigen einen natürlichen Respekt vor anderen, der in der Musikwelt keineswegs selbstverständlich ist. Womit man mitunter rechnen muss, sind jedoch Überraschungen… Als ich zum 3.August 2015 Embryo nach Münster in die Frauenstraße 24 einlade, sagt die Band um Christian Burchard zu und kommt zu meiner großen Freude mehr als pünktlich um 17:30 Uhr an. Ein Ü-Wagen des WDR auch. Ich dachte, mein Gott, nehmen die das Konzert jetzt fett auf oder was ist hier los? Und ich dachte: Das ist echt eine Geburtstagsparty, wenn die Band zum ersten Mal pünktlich um 20:00 Uhr anfängt…weit gefehlt…Journalist Andreas Dewald steigt aus dem Ü-Wagen und bittet Christian Burchard zum Gespräch…das Konzert fängt natürlich später an…gesagt hat der Christian nix…dafür aber in dem Interview, das da mit Andreas Dewald entstand und dessen Zuhörer ich sein durfte. Dewald hat die Sprechart von Christian dabei eins zu eins wiedergegeben.

An diesem Abend fand nicht nur das Interview statt, sondern auch ein großartiges Konzert mit für mich beeindruckenden Vor- und Nachgeschichten, die viele Menschen vermutlich in dieser Anhäufung nur bei Embryo-Konzerten erleben. Wir erinnern uns – es war die Zeit der Zuwanderung. Der Bürgerkrieg in Syrien tobte, und ich begab mich nachmittags mit dem Gedanken zur Frauenstraße 24, warum ich die Band häufig dann live sehe, wenn irgendwo ein Bürgerkrieg herrscht. Ich dachte natürlich auch an die persönliche Begegnung mit Christian im Jahr 1994 und an die Kriege damals in Jugoslawien. Spätestens, als ich aus dem Stadtbus ausstieg, fiel mir ein, dass seit Jahrzehnten immer irgendwo ein Bürgerkrieg getobt hat und Embryo nahezu immer live spielt. Das hat mich keineswegs beruhigt, aber es hat die falsche Verknüpfung im Kopf gelöst.

Dann betrat ich die Kneipe, unterhielt mich kurz mit dem Pächter, der mir das kleine Nebengebäude zeigte, wo ich die Stühle reinstellen solle, um Platz für das Konzert zu schaffen. Gesagt, getan. Als ich diesen kleinen, dunklen Raum mit den ersten Stühlen betrat, erschrak ich. Irgendetwas rührte sich hinten. Ich wich angstvoll zurück. Dann trat plötzlich ein Mann mit Gebetsteppich auf mich zu, und im ersten Schein des Tageslichts vor der Tür erkannte ich, wie ratlos der Mann war. „Wo ist hier der Süden? Ich möchte beten.“ Ich kratzte mir für eine Weile den kahlen Kopf, und weil ich kein Aborigine bin, der in der prallen, blindmachenden Wüstensonne Australiens nur den Finger in den Wind heben muss, um zu wissen, wo Osten, Süden, Westen oder Norden ist, brauchte es eine Weile, bevor ich mich selbst orientieren konnte. Als ich ihm endlich mit dem Finger zeigte, wo Süden sei, kehrte er ins Gebäude zurück, und ich hielt es für angemessen, ihm eine gewisse Zeit für das Beten zu lassen. Ich wartete also. Etwa nach zwanzig Minuten kam der Mann mit dem Gebetsteppich heraus, umarmte mich herzlich, bedankte sich bei mir und ging.
Als der blaue Tourbus ankam, Lothar Stahl, Christian Burchard, Eva Burchard, die Altenbergers und Mik Quantius ausstiegen, freute ich mich wahnsinnig. Und dann noch Jens Pollheide, dessen Flöten- und Bassspiel eine Dynamik hat, die heute nur ganz wenige so auf den Punkt bringen können. Marja stieß wie Art Zen Wehmeyer noch später dazu, aber es war eine solche Freude, die Gruppe in jenem kleinen Hintergarten der Frauenstraße 24 beisammen zu sehen, dass ich dachte, ich zerspringe. Hätte ich gewusst, dass es mein letztes Konzert mit Christian Burchard auf der Bühne werden würde, ich weiß nicht, welche Gefühle mich beschlichen hätten.

Das Konzert, dessen Mitschnitt mir Christian später per Post zuschickte, war eine wundervolle Mischung aus Jazz, arabischen Klängen und herausragenden Gesangseinlagen von Mik. Mein zuvor mitgeteilter Wunsch, dass ich gerne die Oud hören würde, wurde erfüllt. Etwas mehr als zwei Stunden spielte die Band und später, als wir alle noch im kleinen Garten saßen, sangen Eva und meine Frau noch alte polnische Kinderlieder an. In diesem Moment begriff ich einmal mehr, dass die Band wie eine Familie funktioniert. Das ist, was Musik und Menschen ausmachen können, wenn man die gleichen Frequenzen hat. Ein Gefühl, das ich Ende März 2018, als ich Michael Wehmeyer in Berlin besuchte, ganz ähnlich empfunden habe.
Michael und ich kamen gar nicht dazu, die vielen Bilder der Band durchzusichten, sondern waren so im Rausch von Geschichten und Erzählungen verhaftet, dass ich jegliches Hungergefühl verloren hatte. So entstehen immer wieder magische Augenblicke, und erst, wenn du wieder in die nüchterne Welt hinausgeschmissen wirst, merkst du – in welcher Blase du dich auch befindest. Das kann einen wahnsinnig machen, sogar schon beim Sortieren und Aufschreiben der unendlich vielen Geschichten, in denen sich dann manche seltsame Blüte allein zurechtspinnt und außerhalb der Blase schnell auf Unverständnis stößt. Das ist auch okay. Um wieviel mehr muss dieser wahnsinnig volle Kosmos aber die Musiker umgeben, die die Touren all die Jahrzehnte mitgemacht haben? Ist man danach jemals in der Lage, wieder in eine enge, kleingeistige Welt einzutreten? Aber eigentlich will man das ja auch nicht. Und hier das
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