Embryo live in Beelen 1992

Für mich war Embryos Auftritt in Beelen die Erfüllung eines Traums, war ich doch schon vorher von der Musik angefixt worden. Ich hatte gerade mein Abitur gemacht, alle revolutionären Ideen im Kopf, die man in dem Alter so hat. Ich weiß nicht, wer alles das Konzert mitorganisiert hat, wahrscheinlich das TOT, eine äußerst kreative Gruppe von Musikfreaks, die allesamt den gleichen „Scheiß“ aus der Hippie-Zeit hörten wie ich. Leider habe ich keine Zeitungsartikel mehr über dieses Ereignis gefunden. Erinnern kann ich mich, dass Dieter Serfas, Chris Karrer, Christian Burchard und Art Zen Wehmeyer dabei waren. Art Zen Wehmeyer erzählte mir beim Embryo-Konzert 2015 in der Frauenstraße 24 in Münster, dass er sich an dieses Konzert in Beelen auch sehr gut erinnern könne, leider aus einem etwas anderen Grund als den, dass es ein phänomenales Konzert war. Der aus Ostfalen stammende Musiker blieb nämlich auf dem Rückweg nach dem Konzert in Oelde auf der A2 mit seinem Auto liegen. Motorschaden. Jens Pollheide, den ich nach dem Embryo-Konzert in Solingen 2017 nach Dortmund mitnahm, erzählte mir, dass das Konzert in Beelen 1992 vermutlich sein erster Auftritt mit Embryo war. Danach habe man einen Auftritt in Mönchengladbach gehabt. In Tavira/Portugal, wo ich 2014 für meinen dritten Roman „Sie suchen die Sonne“ recherchierte, traf ich auf dem Balkon meiner Pension „Lagoas“ eines Abends zufällig Mönchengladbacher, die meinten, dass sie Embryo 1992 gesehen hätten. Es muss Ende Juni/Anfang Juli gewesen sein. So wird eine Geschichte daraus. Aber damit nicht genug…

Die Vorzeichen für den Auftritt waren alles andere als gut. Irgendwann nachmittags erhält irgendwer von uns den Anruf, dass die Band verspätet komme. Oder war es Art Zen Wehmeyer, der schon früher da war, derjenige, der uns als Vorhut die böse Nachricht mitteilte? In manchen Zeiten hat man Kuriere schlechter Nachrichten umgebracht, aber an diesem Abend waren die meisten doch zu elektrisiert. Zwar standen über Hundert Zuschauer da, allesamt Schwerter in den Augen, weil sie Eintritt bezahlt hatten und stundenlang warteten. Einige von ihnen holten sich dann schließlich ihren Eintritt zurück und gingen. Viele aber harrten aus, sodass schlussendlich achtzig Zuschauer beim Konzert gewesen sein dürften, das um Mitternacht anfing und rund drei Stunden dauerte. Wir vom Orga-Team waren natürlich auch etwas sauer über die Verspätung. Die Band war durch einen Stau am Münchener Stadtring aufgehalten worden. Und ja, man hatte noch einen abholen müssen…Jens Pollheide?

Im Nachhinein muss ich heute aber vor allem über eine Kleinigkeit lachen. Wir hatten damals in Fürsorge um das Wohl der Band Pizzen aus Warendorf bestellt, die gegen zehn Uhr geliefert wurden. Die waren natürlich bis auf den Happen von Art Zen Wehmeyer längst kalt geworden, als die Band kurz vor elf hungrig eintraf. Hätte ich der Band mitgeteilt, dass der Pizzerist aus Warendorf Franco hieß, hätte die magenknurrende Band wohl kaum gesagt: „Espagna si, Franco No.“ (Bekannter Song vom Album „Embryos Rache“ ). Also können wir hier von der Beelener Rache sprechen, die mit Franco und den kalten Pizzen auf die Verspätung folgte. Für die Band schien das allerdings überhaupt kein Problem zu sein. Man aß begierig und erzählte erst einmal in aller Ruhe Geschichten. Der Gig war dann unbeschreiblich gut, und alles Warten hatte sich gelohnt.

Als mein ländlicher Dorfnachbar hörte, dass der Großteil der Band im Bulli übernachten würde, bot er Christian Burchard den Kornbürn auf dem elterlichen Bauernhof an. Dort lagen immer Matratzen für die unzähligen Musikpartys, die dort von jeher gefeiert wurden, und die Nachtgäste aufbahrten. Als Christian Burchard dankend ablehnte, war mein Nachbar sogar ein wenig beleidigt. Erst im Jahre 2017, auf dem Konzert in Solingen, erfuhr ich durch den Sänger Mik Quantius, was es mit dem Christian-Burchard-Prinzip auf sich hatte: „Schlag ihm etwas vor, da oder dort zu übernachten, und er sagt, ne, lass uns mal dreißig Kilometer weiterfahren und im Bulli pennen. Immer Opposition. Irgendwann hatten wir alle den Trick raus, wie wir ihn bewegen konnten, gute Schlafmöglichkeiten nicht mehr auszuschlagen. Schlag einfach das vor, was du selbst nicht willst, und er macht es genau umgekehrt. Und das klappte dann.“ Also: Das Angebot hatte von Beginn an keine Chance.

Ja, Werner, mein Nachbar. Der war ein Jahr zuvor in Marokko gewesen, wurde dort in Tanger ausgeraubt, und kam mit Ach und Krach über Schiff aufs europäische Festland zurück zu Krach am Bach und trampte sich dann vor Hunger geplagt nach Deutschland durch.

Das hielt ihn nicht zurück, ein Jahr später mit mir eine neue verrückte Tour zu starten. Wir hörten von der Band in Beelen, dass man Mitte Juli die Tour nach Marokkko starte, über Südfrankreich (Arcachon/Bordeaux), Spanien/Andalusien nach Marokko übersetzen wolle. Als wir beide das hörten, fingen wir Feuer und Flamme für die Idee, der Band nachzufahren und sie zumindest noch einmal in Südfrankreich zu sehen. Wir hatten ohnehin vor, nach Portugal zu fahren. Südfrankreich und Arcachon lagen auf dem Weg. Einen Tag vor der Reise kauften wir für sechshundert Mark einen alten, buntgescheckten Opel Kadett in Hippie-Version, den Werner noch bis in den Abend fit machte. Am nächsten Tag ging es am Nachmittag los.

Ich hatte nach dem Abitur neun Wochen bei Miele am Band gearbeitet, um mir für die Reise das Geld zu verdienen. Durch die mechanische Arbeit hatte ich mir eine Sehnenscheidentzündung zugezogen, die unter Malochern damals auch als Studentenkrankheit verschrien wurde. (Dabei war ich noch keiner.) Leicht gehandicappt ging es schließlich los, und der Beginn war ernüchternd. Arcachon und Embryo vor Augen verfuhren wir uns schon in Köln. Zwei Tage blieben uns noch, und dann kam uns gegen spätabends unter dunkelgelben, südbelgischen Pommes-Lichtern auf der Autobahn die Idee, noch bis nach Paris durchzufahren, um dort das Nachtleben zu erkunden, was immer das bedeuten sollte. Diese krude Idee verschaffte uns kurzweilig neue Energie, bis ich am Steuer einen Sekundenschlaf erlitt, Werner es war, der das Steuer noch gerade rechtzeitig vor den Leitplanken umbog. Unser Pariser Nachtleben endete an einer tristen, südbelgischen Autobahnraststätte.

Leider sollte es nicht der letzte Stau gewesen sein, und wir kamen verspätet und zu spät in Archachon an. Unsere Devise war auch: „Bis Arcachon muss der Wagen durchhalten, damit wir Embryo noch sehen können. Danach können wir die Karre über die Klippen schmeißen und mit dem Zug weiter nach Portugal fahren.“ So tickte man damals, und ehrlich, ich würde es immer wieder so machen. Wir hatten auf dieser Fahrt wirklich das Embryo-Gefühl, frei zu sein, morgen hier, übermorgen da, und es lag und liegt bis heute ein ungewöhnlicher Zauber der Unbeschwertheit über diese Reise, die leider auf dem Rückweg in Frankreich mit einem Unfall in der Nähe von Langres endete. Werner rettete noch alle Kassetten aus dem Auto, aber ganz viel mehr war da nicht zu retten gewesen. Wir waren nach fast vier Wochen Portugal Pleite, mussten uns von der Deutschen Botschaft in Nancy Geld geben lassen, die das auch anstandslos tat. So fuhren wir mit dem Zug von Nancy über Saarbrücken nach Münster zurück. Vom Unfallverursacher haben wir nie wieder etwas gehört, aber dafür hatten wir 1992 unsere „Embryo’s Reise“.


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