Embryos werden geboren
Die Band gründet sich Mitte 1969. Gründungsmitglieder sind Edgar Hofmann (Saxofon, Geige), Lothar Meid (Bass) und Christian Burchard (Vibraphon), aber wie stark die Band auf ein größeres, loses Kollektiv baut, zeigt sich schon früh. Die Zeit damals ist allerdings für viele Bands eine einzigartige Findungsphase. Es war ein Kommen und Gehen. Das gehörte zu der natürlichen Entwicklung einer Zeit, in der politisch und gesellschaftlich vielfältige Einflüsse auf Deutschland einwirkten. Entsprechend offen sind die Ohren der Zuhörer gewesen. Plötzlich kehrt eine neue Vielfalt ins Land ein.
Die 68er-Generation ist ja im strengen Sinne keine Generation gewesen, denn viele, die damals aus ihrem Alltag ausbrechen und in neue Welten einsteigen, haben zuvor unter dem Muff der Nachkriegsjahre gelitten. Junge Menschen ziehen aus biederen Dörfern und kleinen Städten in große Städte, gründen eigene Kommunen oder eignen sich in Kommunen Wohnräume an, pennen mal hier, mal da und genießen die freie Luft. In dieser magischen Entfesselung liegt der Nährboden einer Musikphase, die immer für sich alleine stehen wird und einen wirklichen Höhepunkt kreativer Musik in der Geschichte darstellt. Man kann die Zeit durchaus als eine Zeit der Improvisation bezeichnen. Neue Musikstile werden ausprobiert, asiatische und orientalische Musikeinflüsse dringen zu den Ohren rastloser Künstler, Musiker und Menschen vor und entfachen in ihnen eine originelle Schaffenskraft, die in der Gestalt unnachahmlich bleibt, weil sie ein Momentum gesellschaftlicher und politischer Wirkkräfte ist. Doch zurück zur Band, bei der viele Bandmitglieder eigene Geschichten schreiben sollten und doch häufig dem Dunstkreis des entstehenden Embryo-Netzwerkes treu bleiben. Gemeint ist beispielsweise die musikalische Achse Amon Düül II und Embryo.
Als Lothar Meid im Spätsommer 1969 wieder aussteigt, ersetzt ihn Ralph Fischer am Bass. Meid, der am 3. November 2015 in Hamburg verstarb, stößt 1971 zur Band Amon Düül II dazu. Schon vor Embryo hat er als Gastmusiker bei Klaus Doldingers Quartett wichtige Akzente gesetzt. Während und nach der Zeit mit Amon Düül II wirkt er an Peter Maffays Album „Omen“ im Jahre 1973 mit. 1978 wird er Produzent von Marius Müller-Westernhagen. Westernhagens Debütalbum „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ ebnet dem Künstler seinen musikalischen Weg. Als Amon Düül II zu Beginn der 90er gelegentlich Live-Konzerte gibt, ist Meid wieder dabei. Und auch ein Jahr vor seinem Tod 2014 gibt er gemeinsam mit Embryo und Amon Düül II noch ein Gastspiel in München bei der Veranstaltungsreihe Kraut&Drastik. Man denkt an den Beginn von Hermann Hesses Gedicht „Stufen“…In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…
Durch die amerikanischen GIs, mehrheitlich Schwarze, die nach dem Krieg in Bayern stationiert sind, entwickelt sich früh eine Jazzszene in Bayern. Christian Burchard und Dieter Serfas, beide 1946 in Hof geboren, interessieren sich in ihrer Jugend besonders für den Free Jazz von John Coltrane und Eric Dolphy. Weil es keine Noten zum Nachspielen gibt, improvisieren beide munter drauf los. Christian Burchard hat ein Klavier, während Dieter Serfas Küchengeräte zum Schlagzeug umbaut. Mit dem aus Nürnberg stammenden Edgar Hofmann gründen sie schließlich eine eigene Band, das Contemporary Trio. Ihr Erfolg auf dem Jazzfestival in Nürnberg 1967 macht Lust auf mehr. Dieter Serfas geht 1967 nach München und schreibt sich für ein Semester an der Kunstakademie ein. Christian folgt ihm nach einem Jahr in Nürnberg, wo er über Dieter den Düül-Drummer Peter Leopold kennengelernt hat. Später lernen beide Chris Karrer kennen. Burchard und Serfas haben im wahrsten Sinne Haus und Hof hinter sich gelassen. Diese Aufbruchstimmung beseelt alle.
Ein Jahr zuvor ist Christian Burchard dem amerikanischen Jazzer Jimmy Jackson (Organist und Piano) in Heidelberg bei einem Gastspiel im Club Cave begegnet. Es kommt zu einem ersten für die Geschichte von Embryo so bedeutsamen Erlebnis, dass es erzählt werden muss. Der begeisterte Free Jazz-Fan Burchard betritt den Club Cave, obgleich der eigentlich noch nicht die Pforten geöffnet hat. Er setzt sich einfach an das auf der Bühne stehende Klavier und spielt drauf los. Jimmy Jackson, der es hinter der Bühne hört, kommt aus irgendeinem Gang zur Bühne, schnappt sich den Kontrabass und beide spielen mit dem größten Vergnügen. Jackson ist von Burchards Spielweise begeistert. Dieses Erlebnis hat auf Christian einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Es enthält nämlich eine Kernbotschaft von Embryo, die das Werden der Band bis heute begleitet. Musik ist für alle und alles offen, und wenn du was kannst und Lust hast, dann spiel einfach mit! Nicht ohne Grund heißt die neue Platte „It do“, umformuliert aus “Do it“, einem bekannten Slogan der Beatnik-Generation.
Auch Jackson zieht es anschließend nach München. Serfas, Jackson und Burchard gründen in München eine BigBand. Jackson hat gerade die US-Armee verlassen, um sich mehr der Musik zu widmen. Er wird bald Embryoianer, spielt auch bei Amon Düül mit und wirkt später sogar bei der ersten Platte „Electronic Mediation“ der weltweit bekannten Band Tangerine Dream mit. In den 80ern tourt er mit Marius Müller-Westernhagen durchs Land.
Dann kommt nach Christians Worten ein nächstes großes Ereignis, und er empfindet es als das große Glück vom Herbst 1967. Sein Zimmernachbar Laco Tropp, ein Jazzdrummer aus Prag, erzählt ihm von einer Tourneeverpflichtung mit dem damals international bekannten Jazzer Mal Waldron und seinem Quartett. Christian kennt alle seine Platten vom Label Prestige und ist von Waldrons Musik ein großer Fan. Weil der Trompeter Ted Curson nicht auftaucht, springt Christian ein. Mal Waldron ist mehr als begeistert, und es entwickelt sich eine lebenslange Freundschaft zwischen beiden bis zum Tod von Waldron im Jahr 2002 in Brüssel, wo er am 2. Dezember verstirbt.
Waldrons repetitive, trommelartige Grundmuster beim Klavierspiel werden zu einem Markenzeichen der Band Embryo, und man darf durchaus behaupten, dass kein anderer Musiker Christian Burchard so nachhaltig in seinem Spiel beeinflusst hat wie Mal Waldron. Gemeinsam mit dem Jugendfreund Serfas wohnen sie bald zu dritt in München und touren vor der Gründung der Band Embryo zweieinhalb Jahre durch Mitteleuropa. Serfas, der wie Peter Leopold und Chris Karrer aus Kempten bald darauf in die legendäre Amon Düül-Kommune zog und ganz eng mit den Anfängen der Kultband verflochten ist, zieht sich aus der aktiven Musik etwas zurück und wird 1971 Lokalredakteur bei der Frankenpost Hof, stößt Ende der Achtziger und Mitte der 90er aber wieder zu Embryo. In Hof ist er unterdessen immer wichtiger Dreh- und Angelpunkt der lokalen Musikszene geblieben, hat Embryo oder Trilok Gurtu ein ums andere Mal eingeladen.
Im Nachhinein erkennt man gut, wie groß die Keimzelle der Band „Embryo“ gewesen ist, wie viele Musiker und Künstler die Geburt der Band und ihr Werden begleitet haben, und doch erschließt sich nur Zeitzeugen ganz, wie schwer es damals auch mitunter gewesen ist, bei den schnellen Strömungen und Bewegungen mitzukommen. Noch im Jahre 1969 gerät die Musikrichtung Jazz etwas in den Hintergrund, tritt an ihre Stelle ein psychedelischer Underground-Sound, mitunter schräg, schief, faszinierend. Jeden Montag sammeln sich im PN in München zwanzig bis dreißig Leute, um Musik zu machen, Musik zu improvisieren. Soulmusiker sind dabei, Jimmy Jackson, Gitarristen wie Ralph Fischer oder John Kelly, der in England bereits mit Ten Years After-Gründer Alvin Lee zusammengespielt hat und gerade den Absprung nach Kontinentaleuropa vollzogen hat. E-Verstärker und Rockrhythmen erhalten Einzug in die deutsche Popkultur. Ja, diese Musik nannte man damals Pop. Der Begriff Krautrock wird erst später verwendet.
Es ist die Ursuppe Embryo, wie es Christian Burchard bezeichnet. Man rührt den Schleif durch die ersten Alben von Embryo, hört „Opal“ von 1970 und „Embryos Rache“ von 1971, findet alle maßgeblichen Strömungen in Sequenzen wieder und spürt im ganzen Klanggemälde eine gesunde Überdosis an Kreativität, die es schafft, dass die Musik von Anfang bis Ende dynamisch und spannend bleibt. Einfach munter drauf los spielen, so hört es sich an, doch Christian korrigiert mich Anfang des Jahres 2017 am Telefon, indem er bemerkt, dass alle Plattenaufnahmen im Sound und auch in der Komposition durchaus bedacht gewesen seien und für die Studioaufnahmen einstudiert worden sind. Warum hören sich die Stücke dann so leicht und locker an, frage ich mich. Aber das ist vielleicht auch nur meine Empfindung. Oder es sind die Einfälle, die durch Improvisationen angeregt wurden und dann im Studio ihre letzten Klanganstriche bekommen haben.
Eva Pluwatsch-Burchard, die damals in München Medizin studiert, gibt der Band schließlich den Namen. Mit Lothar Meid, Edgar Hofmann und Christian Burchard gibt es drei Gründungsmitglieder. Christian Burchard beschafft einen PKW. Man muss sich gesundschrumpfen, damit alle für die Konzerte in ein Auto passen. Vier wären zu viel gewesen. Instrumente werden fortan zu Insassen. Spielen will man. Immer und überall. Aus dem Auto wird später ein fester Tourbus und dann mehrere Tourbusse für die Reise nach Indien 1978. Im Jahr 2015 kauft Tochter Marja einen gebrauchten, roten Feuerwehrwagen, in dem mehr Bandmitglieder und Instrumente Platz finden können. Beeindruckend, wie sich ein Kreis nie schließt. Schön, dass sich die Ursuppe heute noch vieler Zutaten bedient, die schon in den Anfangsjahren gut schmeckten. Noch einmal: Musik entsteht auf dem Weg, und den finden Tausendfüssler immer.
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