Interview mit Jens Pollheide
Jens Pollheide spielt unter anderem Bass und die Kaval, ist seit 1992 bei Embryo dabei und hat viele Touren mit der Band erlebt. Er spielt zugleich beim „Transorient Orchestra“. Er lebt in Dortmund und ist eng mit der lebendigen Jazzszene des Ruhrgebiets verwoben.
Jens, wie würdest du das Phänomen Embryo beschreiben? Was ist deiner Meinung nach das Besondere an der Band?
Bei Embryo kann jeder Musiker Kontakt mit den unterschiedlichsten Stilrichtungen haben und sie lernen: Jazz, orientalische Musik, indische Ragas, afrikanische Rhythmen, freie Improvisation, Avantgarde. Außerdem ist jedes Konzert unvorhersehbar, es gibt keine Setlist, sondern die Reihenfolge von Improvisationen und Themen entsteht jedes Mal neu. Es kann auch sein, dass auf der Bühne ganz andere Musikerinnen stehen, als evtl. erwartet.
Gibt es irgendeine Tour mit Embryo, die dir besonders intensiv in Erinnerung geblieben ist?
Die Spanien-Marokko-Tournee 1996, weil sie die erste längere Tour war, die ich mit Embryo gespielt habe. Die Türkeitour 1999, weil wir dort auf viele phantastische Musiker gestoßen sind: Yulyus Golombeck, Chuck Henderson, Chris Karrer, Okay Temiz, Hüsnü Senlendirici und viele mehr.
Christian ist ja leider verstorben. Wie hast du ihn erlebt? Was hat ihn deiner Meinung nach besonders ausgezeichnet?
Seine Offenheit gegenüber allen möglichen Musikstilen; seine Fähigkeit, mit Musikern aus den verschiedensten Kulturen sofort musikalisch wie zwischenmenschlich eine Verständigungsbasis zu finden; seine absolute Verweigerung jedes Kommerzgedankens in der Musik – Christian hat künstlerischen Gesichtspunkten immer den Vorzug, den absoluten Vorrang gewährt. Beeindruckend war außerdem sein politisches Engagement: die Musik war für ihn immer ein politisches Statement, das er in Interviews und Ansagen immer auch wieder verbalisierte.
Du spielst ja unter anderem mit der Kaval und der Bassgitarre unterschiedliche Instrumente, bist auch in der Dortmunder Jazzszene höchst aktiv. Kannst du einem Laien mal erklären, was die Liebe eines Musikers zur Musik ausmacht? Und was vor allem Kinder lernen können, wenn sie sich der Musik widmen?
Die Musik eröffnet mir mehr als jede andere Kunstform die Möglichkeit, in eine andere Welt abzutauchen, Inspiration und spirituelle Erlebnisse zu haben. Sie erfordert aber auch eine permanente und kontinuierliche Hingabe, in Form von Aufmerksamkeit und/oder Üben.Als Musiker jeden Alters ist es vor allem wichtig, die Musik zu machen, die man mag, denn über die Aufmerksamkeit und die Hingabe an die Musik entsteht dann der Spaß.
Du hast gerade die Solo-CD „Daskalé“ herausgebracht. Ich habe sie leider noch nicht gehört, werde es aber bald tun. Was inspiriert dich im Zusammenspiel mit unterschiedlichen Musikern? Wie kann man sich das vorstellen?
Mich inspiriert generell das Zusammenspiel mit Musikern, die offen gegenüber verschiedenen Stilistiken sind. Die CD „Daskalé“ ist im Wesentlichen das Ergebnis meiner langjährigen musikalischen Freundschaft mit dem Pianisten Utku Yurttas. In der entstehenden Musik finden sich Jazz, türkische Folklore, freie Improvisation zu einem organischen Ganzen. Mich inspiriert ausserdem, dass jeder Musiker seine eigene musikalische „Farbe“ hat, und meine Ziel ist es, aus diesen Farben jedes mal eine gelungene Anordnung zu formieren.
Bei den Embryo-Konzerten, die ich mit dir erlebt habe, habe ich immer das Gefühl gehabt, dass du alle Rhythmenwechsel unangestrengt mitmachst, deine Ohren sozusagen lesen können. Ist das Gefühl, Sichtkontakt zu den anderen oder wie kann man diese Fähigkeit zum Zusammenspiel in Improvisationen beschreiben?
Man muss die einzelnen ungeraden Takte natürlich für sich systematisch üben, und vor allem auch Musik hören, in denen sie vorkommen. Dann geht das meistens glücklicherweise über das Gefühl; der Sichtkontakt hilft, wo das Gefühl fehlt.
Die Musikszene ist ja im Allgemeinen voller Eitelkeiten, oder nicht? Bei dir hat man immer den Eindruck, dass es dir um den Klang und um den Sound insgesamt geht. Mir ist klar, dass in einer Band immer auch völlig unterschiedliche Persönlichkeiten zusammenkommen. Aber was macht es manchmal bei anderen Bands oder mit anderen Musikern so schwierig?
Schwierigkeiten im Zusammenspiel von Musikern ergeben sich meistens, wenn jemand das Bedürfnis, sein Ego darzustellen, nicht befriedigt sieht. Auch das konnte man von Christian lernen: dass es in der Musik nicht auf das Ego ankommt, sondern auf das Gesamtergebnis.Thelonius Monk wird das Zitat zugeschrieben: „ Man muss so spielen, dass die anderen gut klingen“ – das trifft es ziemlich gut.
Mit wie vielen Jahren hast du angefangen, ein erstes Instrument zu erlernen und wie bist du dann auf Embryo gestoßen?
Ich habe im Kindergartenalter von meinen Eltern ein Kinderschlagzeug geschenkt bekommen, ab 8 gab es dann Blockflötenunterricht, ab 12 Querflötenunterricht, mit 14 kam autodidaktisch die Bassgitarre dazu. Mit Anfang 20 hatte ich eine Band mit dem Gitarristen Art Zen Wehmeyer, er hat mich bei einem Konzert im „Klimperkasten“ in Rahden mit Embryo bekannt gemacht. Damalige Formation war mit Dieter Serfas, Chris Karrer, Chuck Henderson, das muss so 1992 gewesen sein. Ich habe dann immer mal wieder mitgejammt, wenn Embryo in Norddeutschland gespielt hat. Von 1994 bis ca. 2004 war ich dann regelmäßig dabei.
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