Wolfi Schlick – Spiritus Musicalis der Express Brass Band und Embryoianer
Wolfi Schlick ist der Spiritus Musicalis des Münchener Musikerkollektivs „Express Brass Band“. Um die Jahrtausendwende ist er zur Band Embryo hinzugestoßen und war mit Christian Burchard 2002 bereits auf der Marokko-Tour und eben 2017 auf der England-Tour der Band. Er spielt unter anderem die Tuba, die Flöte, Englischhorn und Saxophon. Ich habe ihn 2017 in Solingen auf dem Embryo-Konzert in den Güterhallen des „Ateliers Pest Projekt“ erstmals live erlebt und war von seiner Virtuosität und seiner Spiellaune begeistert. Die Express Brass Band gewann 2017 den Schwabinger Kunstpreis. Als Band engagiert sie sich seit Jahren für sozial Benachteiligte, die ansonsten wenig gehört werden. Etwas, was Wolfi Schlick sehr am Herzen liegt. Vor dem Konzert in Solingen 2017 unterhalten wir uns über die Wohnungsmissstände in München, wo die Gentrifizierung voll zuschlägt. Man merkt ihm an, wie sehr ihn das Thema bewegt. Ähnlich wie Christian Burchard geht es ihm darum, mit Musik auch etwas sozial und kulturell zu bewegen. Diese Leidenschaft transportiert er auf die Bühne.
Wolfi, du warst auf der Embryo-Tour 2017 der älteste. Ich habe in den beiden Konzerten in Solingen und Dortmund nichts davon gespürt, aber beschreib mal, wie du die für Embryo eigentlich kurze Tour erlebt hast?
Die Tour begann ja recht embryo-typisch: der Kühler ging kaputt (zum Glück noch in München) – und wir mussten ihn reparieren; dadurch haben wir unseren ersten Gig (in Frankfurt) versäumt. Allerdings wurden wir sehr gut durch einen Freund aus der Antagon-Gruppe vertreten, der zusammen mit Gnawa-Musikern unseren Auftritt übernahm. Ich bin voller Bewunderung für Marja, die uns ja 13 Gigs in 15 Tage gepackt hat, wobei auch die beiden Off-Days gut gewählt waren, weil wir da längere Fahrten hatten (einmal von Köln nach London und einmal von Liège nach Karlsruhe). Ein Unterschied zu den Touren, die ich mit Christian gemacht habe, ist vielleicht, dass die Altersstruktur etwas homogener ist (mit mir als Ausnahme). Ich wurde ja ein paarmal nach Konzerten gefragt, ob ich bei der Originalbesetzung dabei war – über dieses Kompliment bin ich dann doch ein bißchen verwundert…
Die Tour zeichnete sich in den Punkten Auftrittsorte und Unterbringung durch ein hohes Maß an Varianz aus – und erfüllte auch damit meine Erwartungen vollauf: wo spielst Du sonst in den renommiertesten Venues einer Stadt (in London z.B. im Café Oto) und am nächsten Tag in einem selbstverwalteten Zentrum in einer besetzten Fabrik oder an einer Mühle „in the middle of nowhere“?
In Solingen und Dortmund 2017 hatte ich das Privileg, dich mit Jens Pollheide zusammen live zu sehen. Das hat besonders in Solingen wunderbar harmoniert. Ist es eigentlich schwer, solchen Ausnahmemusikern auf diesem hohen Niveau zu folgen? Der spielt ja schon irgendwie in einer eigenen Liga, ähnlich wie Marja, ohne aber eine Rampensau für die anderen zu sein.
Jens habe ich auf einer fünfwöchigen Tour kennengelernt, bei der ich im Frühling 2002 mitfahren durfte (unter anderem nach Marokko). Solch längere Touren waren immer eine gute Gelegenheit, Musiker näher kennenzulernen, denen man sonst wahrscheinlich nicht begegnet wäre. Musikalisch kann ich mich mit ihm überhaupt nicht vergleichen. Ich stimme Dir zu, dass er in einer eigenen Liga spielt. Ich denke allerdings, dass es für Christian (und natürlich jetzt Marja) auch sehr wichtig ist, dass sich in und durch Embryo unterschiedlichste Persönlichkeiten kennenlernen. Und ich glaube auch, dass es mein Glück war, in einer Phase dazuzustoßen, die sich durch ein hohes Maß an Offenheit und Fluktuation auszeichnete. Offenheit soll hier nicht in Bezug auf musikalischen Geschmack gesehen werden, sondern eher als das Interesse am Akzeptieren unterschiedlichster technischer Niveaus der Musiker. Ich bin ja leider nicht so das Übetier, weshalb ich viele Aspekte des Musizierens nur höchst mangelhaft erfüllen kann. Ich bin aber dankbar, dass eben auch wunderbare Musiker anscheinend gerne mit mir spielen – Jens ist einer derjenigen, die mir beim Spielen ein gutes Gefühl geben. Ich habe mit ihm immer das Gefühl, er will kommunizieren und einen nicht vom Platz spielen. Wenn ich nach einer Antwort für Deine Frage suchen soll: ich fürchte, dass ich Musikern wie Jens kaum folgen kann, dass aber durch die geschickte Kombination der verschiedenen Typen in der Band (sagen wir mal: im Kosmos Embryo) ein besonderer Reiz entsteht. Wahrscheinlich war Embryo schon immer ein höchst eklektizistisches Unternehmen, durch die lange Geschichte der Band ergibt sich aber eine besonders große Bandbreite an Stilen und musikalischen Einflüssen. Marja gelingt es für mich sehr gut, den Anspruch Christians an eine sich ständig durch die Musiken der Welt mäandernde „Akademie Embryo“ mit dem Regress auf bestimmte Phasen der Bandgeschichte zu verbinden (so habe ich das Gefühl, dass wir gerade wieder „krautrockiger“ werden, als das in den letzten Jahren der Fall war).
Erzähl vielleicht mal ausführlicher, was dich der Musik nähergebracht, wie du aufgewachsen bist, wie du in den wilden Jahren gelebt hast und was dich bewogen hat, die weltweit bekannte Express Bass Band zu gründen.
Das mit dem weltweit bekannt ist ja ein starkes Stück! Aber mit etwas mehr Ernst:
Wenn ich ein bisschen generalisieren darf, würde ich sagen, dass ich als typisches Mittelstandsbildungsbürgerkind in Schwabing aufgewachsen bin. Die Liebe zur Musik wurde mir von meinen Eltern vorgelebt, die beide klassisch musizierten; mein Vater hätte vielleicht eher Pianist werden sollen als Jura zu studieren, und meine Mutter hat sehr gut gesungen zur Erläuterung zu den Imperfekten: mein Vater ist vor zwölf Jahren gestorben, meine Mutter lebt noch, ist aber 88 (und da ist das mit dem gut Singen so eine Sache)! (Anmerkung : Wolfis Mutter ist leider letztes Jahr verstorben.)Es gab dann so die klassischen Stationen: Blockflöte, unerfolgreichen Klavierunterricht, ein bisschen Klarinette, ein bisschen Saxophon, dann ein bisschen mehr Saxophon – und mit Schulbanderfahrung ging’s dann weiter. Über Freunde kam ich dann Ende der Achtziger zu den Poets of Rhythm, die man, glaube ich schon als die Mitentzünder der Wiederentdeckung des „Rare Groove“ bezeichnen kann.
Die wilden Jahre waren bei mir gar nicht so wild, allerdings war es schön, Teil einer Szene zu sein, die zwar klein, aber auch irgendwie international war. Bei einem Konzert in Österreich hatten wir auch die Rebirth Brass Band kennengelernt; da ich 91/92 auch mal ein Jahr in England gelebt hatte und bei einer Polit-Strassen-Band mitgespielt hatte (The Bristol Ambling Band), wollte ich eine Marching Band für München haben – das führte dann zur Express Brass Band. Ich wollte einerseits ein offeneres Konzept als die Bands, in denen ich bis dahin gespielt hatte. Allerdings hatte ich mir diese Band immer noch als funky New Orleans Marching Band vorgestellt und ironischerweise hat Christian einen großen Anteil daran, dass sie zu etwas viel Interessanterem geworden ist als ich mir gedacht hatte. Er kam nämlich mit einem Es-Horn zu unseren frühen Proben – und brachte uns ein Menge Lieder aus Marokko und Afghanistan bei. Sicherlich war Embryo nicht der einzige Grund, dass sich unsere Band konzeptionell dann so geöffnet hat – aber das Aufeinandertreffen hat uns eben sehr inspiriert. Und seit dieser Zeit spielt Marja (ja, da war sie noch sehr jung!) in der Brass Band und ich bei Embryo.
Spontane Straßenmusik scheint ja wieder im Trend zu sein. Wir sehen Rod Stewart als Busker in London und auch U2 gibt ein Unplugged-Konzert in der Berline U-Bahn. Ich habe da große Probleme mit, weil ich den Event- und Marketingcharakter solcher Aktionen sehe, während Embryo oder auch die Express Brass Band das täglich lebt. Wie siehst du das Phänomen?
Leider muß ich gestehen, dass ich viele dieser Sachen gar nicht so wahrnehme. Zum U2-Unplugged-Konzert kann ich nur sagen, dass unplugged leiser ist – und dann ja auch nicht so viele zuhören müssen, was ja bei U2 nicht das Schlechteste ist…Nicht, dass ich Dir in Deiner Kritik nicht zustimme – aber ich will mich einfach nicht so sehr mit den negativen Aspekten derartiger Vermarktungsstrategien auseinandersetzen. Ich glaube eher, dass derartige Moden für uns gut sein können, weil ich darauf hoffe, dass ein paar Krümel für uns abfallen. Also eher in der Logik, die Majors springen auf einen fahrenden Zug auf, aber dann ist auch ein größeres Publikum bereit, so „wilde“ Sachen wie Musik auf der Straße zu akzeptieren. Auf der anderen Seite war Embryo ja auch schon immer im Umfeld öffentlicher Förderung – ohne Goethe Institut wäre auch Vagabundenkarawane ungleich schwieriger zu realisieren gewesen.
Du hast 2017 den Schwabinger Kunstpreis gewonnen. Was hat der Preis für dich bedeutet und wie siehst du überhaupt Musikpreise?
Ich muß zugeben, dass mich der Schwabinger Kunstpreis schon sehr gefreut hat; man sollte vielleicht noch erwähnen, daß ich den Preis ja nicht allein, sondern zusammen mit der ganzen Express Brass Band bekommen habe.
Es ist ja mein erster Preis – vielleicht ist dadurch die Freude noch ein bißchen größer. Ich bin zwar in Nürnberg geboren, aber meine Eltern haben schon vor meiner Geburt in München gelebt; ich habe also mein ganzes Leben in Schwabing verbracht und freue mich besonders, dass ein Unternehmen wie das Führen einer Band jenseits marktwirtschaftlicher Aspekte nach fast zwanzig Jahren dann doch irgendwie honoriert werden kann. Außerdem hat sich alles schon allein für die Laudatio gelohnt, die Eva Löbau gehalten hat.
Ob der Preis uns weiter bekannt gemacht hat, kann ich nicht sagen – ich habe zumindest noch nichts davon gemerkt. Das wäre zumindest ein positiver Aspekt von Musikpreisen – wobei wir wieder in die Diskussion gelangen, wie man Unabhängigkeit definiert. Öffentliche Förderung bedeutet meistens bei Anträgen eine bestimmte Art an „kultureller Relevanz“ für sich zu definieren. Wenn man davon unabhängig sein will, muss man sich aber wiederum mit den Gesetzen eines (als wie frei auch immer zu nennenden) Marktes auseinanderzusetzen.
Wann hast du eigentlich Embryo das erste Mal erlebt und wann bist du mit ihnen zum ersten Mal auf Tour gewesen?
Enttäuschende Antwort: Ich weiß gar nicht mehr, wann ich Embryo das erste Mal erlebt habe – wenn man sich als Münchner für manche Arten von Musik interessiert hat, konnte man gar nicht anders als Embryo auf irgendeine Art zu rezipieren. Ich kannte immer wieder mal jemanden (wie z.B. Titus Waldenfels), der bei Embryo mitgespielt hatte, allerdings gab es für mich keinen direkten Kontakt – der kam dann erst durch Max Weissenfeldt zustande. Das war so um 2000, da bin ich dann auch gleich mit auf eine kleinere Italien-Tour gefahren.
Kommt ehrliche Musik von der Straße oder würdest du eher sagen, dass das harte Arbeit ist? Du selbst hörst ja überaus vielfältige Musik wie Fela Kuti oder SUNRA.
Free Jazz (oder so was ähnliches) hat mir schon als Teenager sehr gut gefallen; ich erinnere mich an Diskussionen mit Mitschülern (damals eben auch Mitmusiker), die mir sagten, sie könnten diese Musik nicht verstehen, ich solle sie ihnen erklären. Die waren dann meistens enttäuscht, wenn ich ihnen sagen musste, dass ich diese Musik auch nie analytisch wahrnehme, sondern eher durch den Gestus. Ich glaube, dass Musik durchaus harte Arbeit ist, leider sind wir da aber auch bei meinem großen Problempunkt: dass ich eben nie ein harter Arbeiter war. das heißt, alles was ich versuche, nachzuempfinden, hat einen großen Anteil an Unzulänglichkeit. Andererseits weiß ich, dass ich als „performer“ funktioniere, ich glaube auch, dass man sich beim Musikmachen durchaus in eine Art Trance versetzen kann (und soll) – und das scheint bei mir zu funktionieren. Gut, klassische Abschweifung. Hat aber vielleicht doch Sinn: die meisten Bands, bei denen ich gespielt habe (und spiele), leben eher vom Duktus der Straße, Technik ist kein Selbstzweck (der Anteil an Studierten (Musikhochschule, Konservatorium) ist eher gering) – man kann also durchaus sagen, dass für mich Musik von der Straße kommen soll. Naja, zur Zeit unserer großen Vorbilder gab es ja auch noch keine Jazz-Studiengänge an den Hochschulen…
Welche Instrumente beherrschst du und welches Instrument würdest du gern noch lernen?
Ich spiele leidlich Saxophon, Flöte und (ein bisschen weniger) Tuba. Lernen würde ich eigentlich alles gerne, ich nenne mal ein paar Sachen: Schlagzeug (oder Percussion), Klavier (oder allgemeiner Tasteninstrumente), Kontrabaß, Cello, Singen, Gitarre, Posaune – aber da steht eben leider das Thema Arbeit wieder dazwischen.
Was sind deine nächsten Projekte? Gibt es da schon Planungen für 2018/2019?
Es gibt schon ein paar Anfragen für Herbst und Winter 2018: Embryo wird ein bißchen touren, mit Monobo Son (ja, ich bewege mich auch im bayerischen Pop-Sektor) wird es im November und Dezember ein paar Sachen geben.
Auch an dich die Schlussfrage: Welcher oder welche Musiker imponieren dir am meisten? Gibt es Künstler, mit denen du dich ganz eng verbunden fühlst?
Als Saxophonist (oder als Bläser überhaupt) gefällt mir Rahsaan Roland Kirk am besten, er überstrahlt für mich alles. Coltrane. Howard Johnson und George Adams. Als Bandleader Sun Ra und Gil Evans. Taj Mahal. Fela. Billie Holiday. Beim Musizieren fühle ich mich glücklicherweise den meisten meiner Mitmusiker sehr verbunden, natürlich gibt es immer wieder unterschiedliche Phasen: mein Zugang zum Jazz war Michael Waltenberger, ein Mitschüler, mit dem ich meine erste Band hatte; wir waren auch sehr eng befreundet und ich glaube, dass mich diese Gemengelage von persönlicher Verbindung und gemeinsamem Musizieren sehr geprägt hat. Zur Zeit sind Marja, Maasl und ich sehr viel zusammen, wir machen ja auch das Community Orchester, ein sehr offenes Projekt in Zusammenarbeit mit den Münchner Philharmonikern. Ich glaube, dass ich der Frage ein bisschen ausweichen muß – allerdings habe ich über Eric Dolphy mal gelesen, dass er, wenn neue Musiker in die Stadt kamen, zuerst ein paar Tüten mit Lebensmittel eingekauft und sie bei ihnen vorbeigebracht hat. Ich glaube, diesem Dolphy fühle ich mich sehr verbunden!
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